Viel Luft nach oben gelassen

Deutschland erlebt zurzeit eine politische Schlingerfahrt ins Ungewisse. Anstatt Lösungskonzepte mutig voranzutreiben, sieht der unlängst ausgehandelte Koalitionsvertrag in vielen Bereichen vor, erst einmal aufwändige Expertenkommissionen ins Leben zu rufen. Die Auflösung heute schon sichtbarer Investitionsstaus wird – auch bei so wichtigen Themen wie Verkehr und Digitalisierung – großzügig bis ins Jahr 2025 verschoben.

Haben Sie für sich persönlich eigentlich schon gute Vorsätze für das Jahr 2025 gefasst? Dreimal die Woche Sport zum Beispiel oder Schluss mit dem Feierabendbier und Schokolade? Falls nicht, haben Sie alles richtig gemacht. Denn entweder, Sie packen es sofort an, sich von schlechten Gewohnheiten loszulösen oder Sie akzeptieren die Lage auf Dauer so wie sie ist. Langfristige Lippenbekenntnisse helfen Ihnen jedenfalls auch nicht weiter, sich möglichst kurzfristig von lästigen Pfunden zu befreien.  Im neuen Koalitionsvertrag, auf den sich CDU, CSU und SPD Anfang Februar 2018 verständigen konnten, ist der Fall leider ähnlich gelagert.

Während der Verkehr im Lande heute schon aus allen Nähten platzt, der Güterverkehr noch immer großflächig auf der Straße statt auf der Schiene stattfindet und insbesondere kleine, dezentral angesiedelte Unternehmen seit Jahren auf schnelles Internet hoffen, wird die Lösung in vielen Themenbereichen des Koalitionsvertrags auf einen Zeitraum in sieben Jahren vertagt: der flächendeckende Ausbau mit Gigabit-Netzen zum Beispiel, die Elektrifizierung des Schienennetzes, oder das Vorhaben des Bundes, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu investieren. Dynamik und Aufbruchstimmung? In dem mühsam ausgearbeiteten 177-Seitenwerk ist kein klares Bekenntnis dazu herauszulesen.

Pakt von Staat und Wirtschaft kann weiterhelfen
Klar, dass sich verpasste Chancen nicht im Handumdrehen wettmachen lassen. Aber andere Länder gehen längst mit gutem Beispiel voran und demonstrieren eindrucksvoll, wie der Pakt von Staat und Wirtschaft beim Sprung in das digitale Zeitalter erfolgreich unterstützen kann. Ein Beispiel ist der chinesische Online-Riese Alibaba, der sich zur Optimierung der überlasteten Verkehrssysteme in Zukunft mit einigen Ländern des asiatischen Raums verbünden will. Das Unternehmen hat vor kurzem erst ein von der künstlichen Intelligenz angetriebenes City Brain-Projekt in Malaysia ins Leben gerufen. Das Ziel: Den Verkehr in den Städten „smarter“ zu machen.

Dafür werden in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur ab Mai 2018 Schritt für Schritt 300 Ampeln und 500 Verkehrskameras miteinander vernetzt. Die Technologie sammelt in Echtzeit sämtliche Informationen über das Verkehrsaufkommen und erstellt auf Basis dieser Daten Prognosen, die den Verkehrsfluss optimieren sollen. Dank Videoüberwachung und Meldungen der Verkehrsbetriebe erkennt City Brain nicht nur, wann und wo ein Unfall stattgefunden hat. Die Technologie nutzt diese Information auch, um die schnellste Route zum Ort des Geschehens herauszufinden. Nach und nach soll der Cloud-Dienst von Alibaba in der Lage sein, Muster zu erkennen und noch Verbesserungen vorzuschlagen. Das könnte die Straßenplanung sowie den öffentlichen Nahverkehr auf Dauer effizienter machen.

Keine Frage: Derartiges Know-how wäre auch in Deutschland verfügbar. Längst nicht nur die Großkonzerne des Landes wären dazu in der Lage, Innovationen in Gang zu bringen, die alle betreffen. Es stehen auch unzählige Start-ups bereit, um neue Konzepte für die effizientere Auslassung von Verkehrssystemen konsequent voranzutreiben. An Ideen mangelt es nicht. Bisweilen aber an der staatlichen Unterstützung.

Wer in der heutigen Zeit meint, drängende Verkehrsprobleme und drohende Fahrverbote in den Städten durch Maßnahmen wie die Vergünstigung des öffentlichen Personennahverkehrs angehen zu können, der hat den Ernst der Lage immer noch nicht begriffen.  (WAL)

Quelle: LOGISTIK express Fachzeitschrift, Ausgabe 1/2018

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