Wie wird Blockchain den Handel verändern?

Neue B2B Studie: Anwendungsfälle und Potenziale der Blockchain im Handel.

Das Austrian Institute of Technology (AIT), CRIF, Mercateo, Fairtrade, der NGO-Dachverband Globale Verantwortung und der Handelsverband diskutierten am 12. April im Festsaal des Handelsverbandes vor rund 70 Besuchern über das Potenzial der Blockchain-Technologie und die Ergebnisse eines neuen Blockchain-Report mit Schwerpunkt u.a. auf Supply Chain Traceability.

Beschaffungsprozesse verändern sich rasant und die Blockchain ist in aller Munde. Nur ein Hype oder der Beginn einer Revolution? Werden im Jahr 2025 wirklich 10 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts mit Hilfe der Blockchain abgewickelt, wie das World Economic Forum unlängst prognostizierte? Wird die Distributed Ledger Technologie globale Handelsbarrieren reduzieren und gleichzeitig mehr Transparenz und Sicherheit garantieren? Werden Smart Contracts die Supply Chain völlig auf den Kopf stellen? Diese und weitere Fragen standen im Fokus der brandneuen Blockchain-Studie von AIT Austrian Institute of Technology, CRIF und Handelsverband.

„Die Blockchain-Technologie könnte das Supply-Chain-Management und den Handel revolutionieren, darin sind sich fast alle Expertinnen einig“, so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will in seiner Begrüßung. Die neue B2B Studie des AIT im Auftrag der Wirtschaftsauskunftei CRIF und des Handelsverbandes hat aus den bestehenden Anwendungsfällen jedenfalls eine erste, vielschichtige Bilanz gezogen.

Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette dank Blockchain?

Annelies Vilim, Geschäftsführerin des NGO-Dachverbandes Globale Verantwortung und Co-Veranstalterin der Podiumsdiskussion, fokussierte in ihrer Eröffnungsrede u.a. auf existenzsichernde Einnahmequellen für Kleinbauern bzw. deren Familien in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten verbinden Kleinbauern und -bäuerinnen in Entwicklungs- und Schwellenländern schlussendlich auch mit österreichischen Handelsunternehmen. Nur wenn entwicklungspolitische NGOs und Unternehmen zusammenarbeiten, können sie das gemeinsame Ziel von mehr Nachhaltigkeit in der Wertschöpfungskette erreichen“, plädierte Vilim für einen kooperativen Ansatz, der mithilfe der Blockchain-Technologie erleichtert werden könnte.

Blockchain sorgt für Transparenz und Rückverfolgbarkeit

In einer Lieferkette haben viele Akteure miteinander zu tun, die einander nicht unbedingt vertrauen. Allerdings sind Vertrauen und Transparenz jene Faktoren, die eine effiziente Zusammenarbeit befördern. Hier kommt die Blockchain ins Spiel. Ein Team des AIT Austrian Institute of Technology unter Leitung von Ross King hat im Auftrag von CRIF und Handelsverbands untersucht, wie die Technologie hinter Bitcoin im Supply-Chain-Management eingesetzt werden kann.

„Derzeit ist die Blockchain in aller Munde. Das ist einerseits wohlverdient, denn der Erfolg von Bitcoin beweist, dass die Technologie grundsätzlich funktioniert. Andererseits begründet sich der Hype aber auch durch den dramatischen Preisanstieg von Bitcoin und manch anderer Kryptowährung im letzten Jahr, der mit der grundsätzlichen Nützlichkeit der Technologie nichts zu tun hat“, erklärte Studienautor King in seiner Keynote.

Der grundsätzliche Mehrwert der Blockchain in der Lieferkette bestehe darin, dass ein unveränderbares Verzeichnis aller Aspekte einer Transaktion geschaffen wird – von der Herkunft des Rohstoffs über die Verarbeitung bis zur Verpackungshistorie. Dieses Verzeichnis kann ein neues Fundament für Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Vertrauen schaffen.

Automatisierung mit Smart Contracts

Eine Applikation der Blockchain-Technologie besteht in der potentiellen Automatisierung einzelner Prozessschritte des Wirtschaftsgeschehens. Verantwortlich dafür sind im Vorhinein programmierte Smart Contracts: So könnte das Eintreffen eines Produkts an einem bestimmten Ort automatisch weitere Verarbeitungsschritte auslösen. Routineprozesse könnten auf diese Weise selbstständig ablaufen. „Die technologischen Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig, der rechtliche Rahmen für Smart Contracts ist jedoch noch nicht geklärt. Daher ist Vorsicht geboten. Entwicklungsländer könnten profitieren, sofern die neue technische Infrastruktur mittelfristig geringere Anforderungen als die vorherrschenden standardisierten Datenbanksysteme erfordert, um beispielsweise alle Bauern und Zwischenhändler einzubeziehen“, bestätigte Ross King.

Die in der Studie untersuchten Anwendungsfälle setzen auf sog. „PermissionedBlockchains“. Bei diesen können – im Gegensatz etwa zu Bitcoin – bewusst nur bestimmte Akteure teilnehmen, wodurch der Zugang zu den Daten gezielt eingeschränkt werden kann. Das ist laut Studie auch sinnvoll, da in manchen Fällen zu viel Transparenz Mitbewerbern Wettbewerbsvorteile verschaffen könnte. Andere Entwicklungen setzen auf offene Blockchains als „Infrastruktur“, um darauf aufbauend Geschäftsprozesse abzubilden, die anonym durchgeführt werden sollen.

Blockchain aus entwicklungspolitischer Perspektive

Welche Möglichkeiten und Potenziale die Distributed Ledger Technologie (DLT) aus einer entwicklungspolitischen Sichtweise bieten könnte, war Thema der Replik von Fairtrade CEO Hartwig Kirner. „Die Blockchain ist auch abseits von Kryptowährungen mit Sicherheit ein spannender Lösungsansatz, allerdings ist in vielerlei Hinsicht noch nicht ganz klar, für welches Problem“, so das erste Fazit von Kirner. „Trotzdem ist es aus unserer Sicht wichtig, die Anwendungsmöglichkeiten im Auge zu behalten, insbesondere was den Bereich der Produktrückverfolgbarkeit betrifft.“ Auch wenn Fairtrade das Thema DLT noch skeptisch bewertet, entwickelt die Organisation bereits erste Pilotanwendungen im Bereich Supply Chain Management.

Das Problem der Schnittstelle

Im Anschluss nahmen Hartwig Kirner und Ross King neben Christoph von Lattorff, Country Manager von Mercateo und Bernhard Linemayr, Head ofProduct Management der Wirtschaftsauskunftei CRIF, ihre Plätze auf der Bühne ein, um direkt in eine überaus spannende Podiumsdiskussion einzusteigen. Unter der Leitung von Moderator Rainer Will sprachen die Diskutanten u.a. über Smart Contracts, Kryptowährungen, Initial Coin Offerings (ICOs), die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sowie über „Cut out theMiddleman“ – das Credo der Blockchain-Community. Auch die Problematik der Schnittstellen wurde thematisiert.

„Natürlich kann die Blockchain das Supply-Chain-Management oder die Bonitätsbewertung verbessern. Das zentrale Problem ist jedoch die Schnittstelle zwischen der physischen und der digitalen Welt“, so Bernhard Linemayr, einer der Blockchain-Experten von CRIF. So müsse etwa jeder Vorgang von einem Menschen oder einer Maschine außerhalb der Blockchain protokolliert werden, erst dann kann er in der Blockchain unveränderbar und nachvollziehbar festgehalten werden. Wenn man diesen Einheiten außerhalb der Blockchain ohnehin vertrauen könne, dann bräuchte man in vielen Fällen gar keine Blockchain. „Oft ist eine zentrale Datenbanklösung mit gemeinsamen Lese- und Schreibrechten völlig ausreichend. Denn wenn man den externen Einheiten nicht vertrauen kann, kann leider auch die Blockchain das Vertrauensproblem nicht lösen“, so Linemayr.

Ähnlich äußerte sich auch Christoph von Lattorff, Country Manager von Mercateo, der Beschaffungsplattform für Geschäftskunden: „Derzeit herrscht ein riesen Hype um die Blockchain Technologie, aber Achtung: Die Blockchain ist kein Selbstläufer. Die Frage, die man sich als Unternehmen stellen sollte, ist: Welche Herausforderungen und Probleme habe ich derzeit mit dem klassischem Geschäftsmodel und kann ich diese mit der Blockchain Technologie lösen oder optimieren.“ Sein Fazit: „Die Blockchain Technologie ist vielversprechend und hat bestimmt großes Potential auch im Handel. Sie steht aber noch ganz am Anfang und es gibt aktuell wenig echte, erfolgreiche, praxisnahe End2End-Anwendungsfälle.“

Rechtssicherheit gefordert

Über den Fortschritt der Standardisierungsaktivitäten im Blockchain-Umfeld berichtete u.a. Alexander Peterlik, Business Development Manager bei GS1 Austria. GS1 arbeite bereits seit einiger Zeit mit namhaften Teilnehmern aus Handel, Industrie, Logistik und IT an verschiedensten vielversprechenden Blockchain-Pilotprojekten, so Peterlik, einer der zahlreichen prominenten Besucher im Handelsverband.

Ein potenzieller heimischer Blockchain-Front Runner ist das lab10 collective – „eine auf Blockchain konzentrierte Genossenschaft, die den Übergang zu einer freien, gebildeten und gerechten Gesellschaft unterstützt“, wie Co-Initiator Bernhard Wladkowski erklärte. „Mit unserer Blockchain-Initiative ARTIS, die auf einem robusten Ethereum-Code basiert, einem starken Partnernetzwerk, bereits getesteten Anwendungsfällen und einer hochverfügbaren App, ermöglichen wir echte Peer-to-Peer-Transaktionen. Wir möchten, dass jeder im fairen und effizienten ARTIS-Ökosystem agieren kann“, so Wladkowski.

„Um das volle Potential der Blockchain und möglicher Folgetechnologien, die wie Hashgraph oder IOTA ohne Verkettung von Blöcken funktionieren, ausschöpfen zu können, braucht es für Unternehmen vor allem Steuer- und Rechtssicherheit“, erläuterte wiederum Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Der Handelsverband empfiehlt daher sogenannte „regulatorysandboxes“, um junger Startups auch für die Umsetzung im Land zu halten.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2018

 

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