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Naturgewalten fordern die Binnenschifffahrt heraus

„Dirndl heirat koan Schiffsmo, du heiratst in d’Not, host im Sommer koan Mo und im Winter koa Brot“.

Redaktion: Peter Baumgartner.

Diese Weisheit lernen Grundschüler noch heute im Sachunterricht, wenn sie über die Flussschifffahrt sprechen. Allerdings entstammt diese elterliche Warnung für die Tochter des Hauses aus historischen Überlieferungen des 19. Jahrhunderts. Zu einer Zeit also, als die Binnenschifffahrt vollständig von den Naturgewalten abhängig war. Das einzige technische Hilfsmittel war damals das Taschenmesser. Kein Echolot, sondern die Untiefen im Kopf des Kapitäns gespeichert. Kein Radar und keine Satellitennavigation, sondern Orientierung mit freiem Auge. Analoge Binnenschifffahrt eben, wie man sie heute nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt. Und dennoch, immer häufiger und immer länger gerät die Binnenschifffahrt bedingt durch Naturereignisse in Situationen, bei denen auch die modernsten technischen Hilfsmittel nutzlos werden.

„Hungersteine“

Typisches Beispiel ist die Niederwasser Katastrophe des zu Ende gehenden Jahres. Kaum ein frei fließender Fluss in Europa, dessen Pegel überhaupt noch messbar war. Sogenannte „Hungersteine“ treten im Fluss immer dann zutage, wenn der Wasserstand einmal besonders tief abgesunken ist. Greenpeace hat an der Elbe heuer einen neuen „Hungerstein“ ausgelobt. Dann können Schiffe weniger als 50 Prozent ihrer Ladekapazität transportieren, oder sie bleiben überhaupt wegen Unrentabilität vor Anker liegen. Schlichtweg eine wirtschaftliche Katastrophe für betroffene Flussschiffer und deren Kunden. Es scheint so, als wäre die Empfehlung „Dirndl heirat koan Schiffsmo“ durchaus wieder angebracht.

Das Jahr 2018 wird als historisch negatives Beispiel in die Geschichte eingehen. Der Zeitraum April bis August 2018 war der wärmste, sonnenscheinreichste und gleichzeitig auch einer der niederschlagsärmsten Zeitabschnitte seit Beginn regelmäßiger Messungen im Jahr 1881. Die Binnenschifffahrt wird aber durch Naturgewalten in den letzten Jahren immer öfter gefordert. Und immer häufiger ist sie ihnen hilflos ausgeliefert. Ein sogenanntes 100-jähriges Hochwasser kommt nicht mehr alle 100 Jahre einmal vor, sondern beinahe schon jedes Jahr. Ist die Binnenschifffahrt all dem wirklich hilflos ausgeliefert? Oder haben Kapitäne noch die Chance, vom Erlös ihrer Arbeit eine Familie erhalten zu können? Die Antwort lautet ganz klar: JA

 

Veränderungen in der Umwelt.

Allerdings sollte die Binnenschifffahrt ganz schnell ein paar Hausaufgaben machen und nicht wie ihre Vorfahren darauf warten, bis sie von der Realität versenkt werden. Noch ist es so, dass das Gewerbe steigende Kosten durch Naturereignisse wenigstens teilweise auf die Kunden abwälzen kann. Manchmal kommt den Binnenschiffern Niederwasser sogar gelegen, weil die Frachtraten wieder ansteigen und die Nachfrage zunimmt. Aber der Schein trügt. Wer jetzt noch immer nicht begriffen hat, dass der Klimawandel dabei ist, alle eingefahrenen Gewohnheiten über Bord zu werfen, wird ein böses Erwachen erleben. Es wird auch nicht reichen, auf Dauer um öffentliche Unterstützung zu betteln, denn ein Business, das nicht überlebensfähig ist, kann nicht ständig „gerettet“ werden (das gelingt höchstens der Finanzwirtschaft). Die Binnenschifffahrt muss auf die Folgen des Klimawandels aktiv reagieren und zukunftsorientierte Lösungen für das Problem finden. Beispiele und Möglichkeiten gibt es. Ob es neue Ideen im Schiffsbau sind, oder organisatorische Innovationen, es ist immer von der verfügbaren Infrastruktur abhängig ob und wie ein Schiff optimal betrieben werden kann.

Eine Zeitung hat heuer getitelt, die meisten Schiffe können nicht fahren, weil die Donau wenig Wasser führt. Damit wollte man die Donau für eigene Versäumnisse „schuldig“ machen. Die Zeitung schrieb nämlich nicht, dass die Reedereien noch immer möglichst große Schiffe bauen lassen. Wissend, dass die großen Schiffe bei Niederwasser als erstes liegen bleiben, wird einfach weiter auf das gleiche Pferd gesetzt, als gäbe es die tiefgreifenden Veränderungen in der Umwelt nicht. Die Gewerbevertreter klagen, dass ein Schiff, das 1 000 Tonnen laden kann, bei Niederwasser nur noch 200 Tonnen aufnehmen kann. Sie vergessen aber zu sagen, dass andernorts kleine Schiffe genau deshalb gebaut werden.

 

Blauäugige Raumplanung?

Es macht betriebswirtschaftlich wenig Sinn, dreißig Jahre einen Donauausbau zu fordern ohne eigene Maßnahmen zu setzen und um dann festzustellen, der Donauausbau kommt doch nicht. Jeder Lkw-Spediteur wäre nach 3 Monaten im Konkurs, würde er nach der gleichen Logik wirtschaften. Es ist blauäugig zu hoffen, dass unsere Politiker noch eine Klimapolitik schaffen werden. Sie bringen nicht mal eine vernünftige Verkehrspolitik auf die Reihe. Aber eigene Überlebensstrategien entwickeln kann man immer.

Man darf allerdings nicht vergessen, dass die Binnenschifffahrt und die Wasserstraßenlogistik eine Art Wirt-Gast-Beziehung mit vielen Gästen führen, die nicht unbedingt als symbiotisch zu bezeichnen ist. Manchmal verhalten sich die Gäste sogar parasitär. Dann wird es für die Binnenschifffahrt zusätzlich zu den Klimaproblemen zur Überlebensfrage. Die Wasserstraße hat nämlich anders als Straßen, Bahntrassen oder der Luftraum, immer eine Mehrfachfunktion. So würde zum Beispiel niemand auf die Idee kommen, mit einem Fahrrad auf der Autobahn fahren zu wollen. Schlauchboote oder Schwimmer hingegen sind auf internationalen Wasserstraßen ebenso anzutreffen, wie Tanker mit 7 000 Tonnen Ladung. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl anderer Interessen, die auf der Wasserstraße neben der Binnenschifffahrt um ihre Berechtigung kämpfen. Trinkwasserversorgung, Tourismus, Energiewirtschaft, Wasserwirtschaft, Hafenkanibalismus, Fischerei, Naturschutz und sogar der Denkmalschutz spielen eine Rolle und sie wollen alle überleben. Das ist oft schwer unter einen Hut zu bringen und der Klimawandel erschwert diese Herausforderung zusätzlich. Dazu kommt, dass unsere Politik, die schon mit der Raumplanung an Land heillos überfordert ist, noch gar nicht realisiert hat, dass auch eine nasse Raumplanung notwendig ist. Außerdem findet vielerorts eine Industrieansiedlungspolitik statt, von der man glauben könnte, sie wurde extra so gemacht, damit Wasserstraßenlogistik ausgeschlossen ist.

 

Viele Kontrahenten für die Binnenschifffahrt.

Die Wasserwirtschaft ist einer der größten Gegenspieler der Binnenschifffahrt. Am Beispiel des Rhein-Main-Donau-Kanals (MDK) kann man erkennen, welche Interessen wichtiger sind. Neben der Verkehrsfunktion erfüllt der MDK eine bedeutende wasserwirtschaftliche Funktion. Böse Zungen behaupten, der Kanal wurde nur deshalb gebaut, um das Wasser aus dem Donaueinzugsgebiet in das wasserärmere Franken pumpen zu können. Viele Millionen Kubikmeter Wasser wechseln nämlich über Pumpen die Wasserscheide. Im Hitzesommer 2015 waren es zum Beispiel 200 Mio. m3.  Wasser, das natürlich der Binnenschifffahrt auf der Donau besonders dann fehlt, wenn es eh schon wenig gibt. Ähnlich ist es mit der Energiewirtschaft. Der Zweck eines Wasserkraftwerkes ist natürlich die Stromerzeugung und nicht die Binnenschifffahrt. Richtig parasitär wird die Energiewirtschaft dann, wenn es zu Sohleeintiefungen im Fluss kommt oder Sedimentablagerungen das ganze Abflusssystem beeinträchtigen. Ein typisches Beispiel ist die alte Geschichte um das österreichische Donaukraftwerk Hainburg. Die Gewerkschaft hat sich (letztlich erfolglos) nicht für die Binnenschifffahrt engagiert, sondern für die Bau- und Energiewirtschaft.

Zunehmend parasitär wird die Landwirtschaft für die Binnenschifffahrt. Bisher hat die Symbiose noch ganz gut funktioniert. Aber mit zunehmender Wasserknappheit entwickelt sich auch die Landwirtschaft zum Gegenspieler, weil die riesigen Agrarflächen entlang der Flüsse unersättliche Schwämme sind, die ständig mit Wasser versorgt werden müssen. Noch ist es kein wirkliches Problem, aber wenn die Binnenschifffahrt um jeden Zentimeter Wassertiefe ringt, ist jeder Abfluss zu viel.

Neben der Freizeitwirtschaft ist der Tourismus, für die Wasserstraßenlogistik eine zunehmende Herausforderung. Zwar sind Kabinenschiffe selbst Betroffene, aber ihre Anzahl und insbesondere ihre Größe ist bereits ein echtes Problem. „Overtourism“ ist ein Phänomen, das nicht nur in Venedig oder an anderen touristischen Trampelpfaden stattfindet. Auch viele Flussabschnitte sind schwer betroffen. Die Größe der Kabinenschiffe hat sich in den letzten zehn Jahren bei gleichbleibender Infrastruktur fast verdoppelt. Damit verbunden sind für die Wasserstraßenlogistik längere Reisezeiten und erhebliche Sicherheitsrisiken. Zu parasitären Auswüchsen kommt es auch, wenn der Wassertourismus mehr Wasser für Badegäste in Anspruch nehmen will, als die Binnenschifffahrt verkraften kann. Nicht selten rettet dann in letzter Konsequenz sogenanntes „Zuschusswasser“ die Binnenschifffahrt vor dem Stranden. (PB)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 4/2018

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